Geschichte des Prachteinbandes
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Der frühmittelalterliche
Prachteinband muß aus seiner Funktion im kirchlichen Leben heraus interpretiert werden.
Wo das Buch durch seine Aufgabe im Gottesdienst der Kirche ein geweihter Gegenstand war
und als materieller Träger der göttlichen Offenbarung zum wertvollen Besitz der
Kirchengemeinde oder Klostergemeinschaft wurde, lag naturgemäß das Bedürfnis nahe, die
geistige Wertschätzung auch durch einen kostbaren Einband zum Ausdruck zu bringen.
Die frühe Kirche besaß noch kein
einheitliches Buch für alle Teile der Liturgie. Für deren Vollzug war vielmehr eine
Mehrzahl von Büchern vonnöten. Das Sakramentar umfaßte die Gebete des Priesters bei der
Messe, die nach dem Ablauf der Tage und Wochen des Kirchenjahres (Proprium de tempore),
der Heiligenfeste (Proprium de sanctis) und der Liturgie für Typen und Gruppen von
Heiligen (Commune de sanctis) wechselten. Das Epistolar enthielt die Perikopen der
Episteln, der Lesungen aus den Apostelbriefen, in einem geschlossenen Corpus, das
Evangelistar die Evangelienabschnitte der Messen in einem weiteren Corpus. Ein
Voll-Lektionar vereinigte beide Gruppen von Lesungen. Im Graduale waren die Gesänge der
Messe zusammengestellt, im Sequentiar die Sammlung der Hymnen und Sequenzen. Das Tropar
umfaßte frei geschaffene Gesänge (Tropen), die in die überkommenen liturgischen
Gesänge eingeschoben wurden. Gleichbleibende Teile der Messe fanden sich im Kyriale und
im Ordinarium missae. Vollmissalien setzten sich erst im Spätmittelalter durch. Die Teile
des Breviers umfaßten das Stundengebet, die Psalmen und Gesänge in jeweils eigenen
Bänden. Dazu traten Bücher für spezielle Anlässe. Auch die Bücher der Bibel waren
zumeist auf mehrere Bände aufgeteilt. Das Evangeliar nahm in der Liturgie naturgemäß
einen dominierenden Platz ein.
Die liturgischen und biblischen
Bücher konnten bei Prozessionen mitgetragen werden, sie konnten bei Kirchenversammlungen
und Synoden einen Ehrenplatz erhalten; man benützte sie beim Schwur feierlicher Eide und
Verträge. Selbst als Reliquienträger konnten die Einbände solcher Bücher verwendet
werden. Aus all diesen Gegebenheiten ist die fast numinose Wertschätzung kirchlicher
Bücher zu verstehen. Für die Ausschmückung der kostbaren Einbände, die oft von
hochgestellten Persönlichkeiten gestiftet wurden, verwendete man praktisch alle im
Kunsthandwerk gebräuchlichen Techniken und Materialien. Eine Gruppe von Prachteinbänden
knüpfte durch die sekundäre Verwendung antiker Elfenbeintafeln als Buchschmuck an die
Kunst der Spätantike an. Profane Dyptichen konnten dabei ohne Rücksicht auf den
Gegenstand ihres Bildschmucks auf den Einbänden liturgischer Bücher angebracht und so
dem christlichen Kult dienstbar gemacht werden.
Zu den ältesten Techniken für die Ausstattung
von Luxuseinbänden zählt auch die Goldschmiedekunst. Viele Einflüsse kamen aus Byzanz,
wo diese handwerkliche Kunst zu höchster Raffinesse entwickelt worden war. Die Holzdeckel
der Handschriften wurden ganz oder teilweise mit Goldblech verkleidet. In Gold- und
später auch in Silberarbeit konnten die Figuren Christi und der Heiligen gebildet werden.
Edelsteine und Perlen wurden mit Edelmetall gefaßt, die Edelmetallflächen konnten
graviert werden.
Die Emailkunst brachte durch ihren bunt
schillernden Glasfluß ein betont, farbiges Element in den Dekor der Buchdeckel. Aus
Byzanz wurde die Technik des Zellenschmelzes übernommen, dessen Wesen darin bestand, daß
kleine Zellen aus Goldbändern geformt, auf dem Goldgrund des Deckels angebracht und
sodann mit flüssigem Glas gefüllt wurden. Bei der Technik der Zellenverglasung sind die
Zellen mit bunten Glasstücken gefüllt.
Hatten die Elfenbeintechniken antike
ikonographische Traditionen verarbeitet, so wurde auf anderen Einbänden der Schmuck aus
rein christlichen Vorstellungen entwickelt. In diesem Komplex nimmt das Kreuz, das
zentrale Heilszeichen des Christentums, eine bevorzugte Stellung ein. Es kann entweder
allein die Komposition bestimmen, einen Crucifixus tragen oder aber von Darstellungen
umgeben sein, die theologisch zum Verständnis des Kreuzes oder des Christusbildes
beitragen.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Bild-
oder Rahmentypus chritologische Themen dominieren. Christus wird oft in der Glorie
dargestellt; dabei kann es sich um den Typus der Maiestas Domini handeln; anderswo wird
Christus stehend als Sieger über Löwe und Drache abgebildet. Auch Szenen mit dem
thronenden und richtenden Christ fehlen nicht; in anderen Szenen verweist die Ikonographie
auf die Parusie; man denke an die Typen der Desis, des Pantokrators oder der Verklärung.
In zahlreichen Beispielen bildet die Kreuzigung das Haupthema; fallweise kann sie in einen
Szenenzyklus eingebaut sein.
Quelle: "Geschichte der
Buchkultur", Band 3/2, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz ("ADEVA")
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